Hier mal wieder ein Beitrag zum Thema Traumata und Persönlichkeitsentwicklung. Diesmal möchte ich das Thema der „Weißheit, die aus Wunden stammt“, angehen, das im Mann-Bewusst-Sein Produkt einmal angesprochen wurde.
Ich bin, kurz gesagt, kein Freund dieses Konzepts; es hat sehr wenig mit wahrer Weißheit zu tun, „aus Wunden zu lernen“. Genauer gesagt, geht es ins komplett gegenteilige von dem, was eine gesunde Arbeit an emotionalen Themen eigentlich erreichen soll. Viel eher entsteht daraus das, was ich hier mal als „gemorphte Themen“ bezeichnen möchte (hier finden sich wahrscheinlich einige Parallelen zu der „emotionalen Verletzungspyramide“ aus dem Feel Different mit seinem Modell von Traumata, Core Beliefs etc.).
Hierzu ein kurzes Beispiel: Nehmen wir einmal an, ich fahre Fahrrad und stürze dabei und schlage mir den Kopf auf. Was ist die Weißheit dieser Wunde? Es könnte „zieh das nächste Mal einen Helm auf“, oder „schau genauer auf die Straße“ sein. All diese Dinge haben aber eigentlich zum Ziel, für mehr Sicherheit zu sorgen, bzw. mich nicht noch einmal auf die Schnauze zu legen.
Ist das Weißheit? Ist das männlich? Ich würde sagen: Nein. Das einzige, was passiert ist, dass meine Begeisterung fürs Leben und meine Unbekümmertheit davon weggeht (= emotionales Thema nicht aufgelöst), und ich weniger wagemutig und sicherheitsbewusster werde (= unmännlich). Als Test kannst du ja gerne einmal ausprobieren, wie es unter „wilden Männern“, oder auch nur wilden Jungs so ankommt, wenn du mit einem Fahrradhelm über die Straße fährst. Sie werden mit Sicherheit nicht begeistert sein.
Glorifizierung von Verletzungen
Emotional gesünder werde ich dadurch sicher nicht, denn so eine Wunde bzw. ein eingeschlagener Weg haben die Tendenz, mit der Zeit immer mehr Tentakeln sprießen zu lassen und zu wachsen und zu gedeihen. Höchstwahrscheinlich wirst du irgendwann nur noch mit Tempo 20 durch die Gegend fahren, aus „Sicherheitsgründen“. Weniger risikofreudiges Verhalten zeigen, aus Sicherheitsgründen. Etwas weiter, und abstrakter gegangen: Vielleicht hast du irgendwann Mühe, deinen Job zu wechseln, oder wirst zu einem von diesen alten Säcken, die gegen unverantwortliche Jugendliche mit ihren Skateboards („unverantwortliche Raser!) schimpfen. Oder sonst irgendetwas sinnbefreites, sprich: Der Archetyp eines verletzten Jungen, der seine Verletzungen zu großen „Weißheiten“ aufbläst, und so ein Pseudo-„Mann“ mit allen negativen Konsequenzen wird.
Dabei sollte das eigentliche Ziel sein, keine Angst mehr vor dem Sturz zu haben, bzw. diese Angst zu überwinden. Oder, nach dem „Magick Male Konzept“, das Thema komplett aufzulösen.
Die Parallele zum „MM-Prozess“: „Männlichkeit“, die aus falsch verstandenen Wunden entsteht, wird sehr schnell toxisch
Damit meine ich nicht die „toxische Männlichkeit“, die so gerne von feministischer Seite angeprangert wird, sondern viel allgemeiner: Nicht alles, was männlich ist, ist auch gesund. Vielmehr sind es oft unerlöste Themen, die zu weltbewegenden Weißheiten aufgeblasen werden, und dabei emotionaler Gesundheit und vielen anderen, wichtigen und lebensrelevanten Dingen im Wege steht: Job, Beruf, allgemeine Lebensfreude, Partnerwahl, und vieles mehr.
Und daraus entstehen auch viele mittleren Glaubenssätze oder Core Beliefs, wie z.B.:
- Nur harte Arbeit bringt Geld, oder macht mich zum Mann
- Wer Lebensfreude und Lebendigkeit zeigt, der ist kein richtiger Mann
- Es ist meine Aufgabe, andere zu überwachen oder „die Gesellschaft zu beschützen“, und damit andere zu deckeln
Diese Liste ließe sich wahrscheinlich noch problemlos fortsetzen. Ein lebensbejahender Mensch mit gesund und freudig gelebter männlicher Essenz wird so aber wahrscheinlich nie entstehen. Eher das krasse Gegenteil.