Eine Szene aus einem Callcenter. Vor mir steht eine junge, sympathische Dame, augenscheinlich sehr offenherzig und angenehm. Sie ist meine Vorgesetzte, allerdings nur eine Stufe über mir. „So eine sympathische Frau treffe ich so selten, da wage ich es mal“, denke ich mir, und biete einen Kaffee nach Feierabend an.
„Oh, da hat mein Freund aber etwas dagegen“, erwidert sie freundlich. Naja, gut, doof gelaufen. Wenig später driftet das Gespräch aber in die Richtung ab, dass sie ja „Borderline hat“.
Ach du scheiße. Müssen denn alle netten Weiber gleich einen an der Klatsche haben? Aber gut, vielleicht springt wenigstens ein nettes Gespräch über Depris und den ganzen seelischen Kram dabei heraus. „Was bedeutet das denn für dich?“ Antwort: „Ach, ich hab einfach manchmal auf einmal Bock mich zu Ritzen oder so. Und mein letzter Freund hat die Polizei gerufen, als ich mal wieder ausgerastet bin, da war ich dann erstmal für eine Weile in der Geschlossenen.“
Begeisternd. Wenig später sitzt sie neben mir und telefoniert Amazon-Kunden durch. „Okay, das mit dem Gespräch über Zeugs könnte noch interessant werden“, denke ich mir und spreche sie noch kurz darauf an. „Respekt gegen Respekt…“, ist mein letzter Satz. Sie antwortet unbestimmt mit „ja, ja“ und konzentriert sich auf ihren Bildschirm. Auf dem Bildschirm erscheinen irgendwelche Häuser, ich frage, was sie denn damit vorhat. „Ach, vielleicht ziehe ich in die Türkei und kaufe mir mit einem Freund zusammen ein Haus, das ist da viel billiger.“
Im Inneren schüttle ich den Kopf und arbeite weiter. Eine knappe halbe Stunde später wird es dann wieder spannend, als sie mit den übrigen Fotz… ähm, Damen in ein Gespräch darüber kommt, dass ihre Partner „ja regelmäßig Wutattacken haben“.
Alle nicken wissend mit dem Kopf.
Haussklaven spielen Ghettogangster
Wenige Tage später im selben Callcenter, ein Kollege kommt merkwürdig geladen rein. Was denn nur los ist, frage ich ihn. „Ach, total fieses Ding. Ich hatte Streit mit meiner Freundin, und sie ist in Tränen ausgebrochen und hat riesigen Zirkus gemacht. Ihre kleine Tochter hat geweint, dass ich doch bitte nicht weggehen soll. Bin dann doch gegangen und hab mein ganzes Zeugs mitgenommen.“
Dabei hatte er den typischen Blick, eine merkwürdige Mischung aus tiefster Verletztheit und „ich-bin-doch-kein-Opfer“-Aggressivität.
Schnitt. Ein Blick auf die letzten Wochen hier. Ich gebe die Hoffnung ja nicht auf, doch noch ein ehrliches Gespräch mit ein paar Leuten anfangen zu können, und lande in einer Audiogespräch mit einer Gruppe von Leuten, darunter ein Typ namens Paul. Paul spielt, wortgewaltig und sarkastisch-zynisch, gerne mal den großen Mann. Ein wenig erinnert er mich an Alexander Schütze oder diesen Schulbekannten, über den ich hier mal gebloggt habe.
Tja. Und dann kommt eine nette Anekdote von Orlando aus dem Foundations-Seminar in Erinnerung:
Auch Höhlenmenschen können Weicheier sein, oder diesen italienischen Machos. ‚Ha, aber meiner Frau sage ich zuhause, wo es lang geht‘. Und dann ruft die liebe Ehefrau: ‚Giani?!!‘ Und der dreht sich ruckartig um: ‚Ja, mein Schatz?‘.
Eine Dame in der Gruppe wies darauf später dann relativ sarkastisch hin… genau dasselbe hatte sie wohl von Paul schon mitbekommen.
Alphamann oder „Opfer“?
Schnitt. Szenenwechsel. Ein Callcenter auf Zypern, voller deutscher „Auswanderer“ und Superpimps. Ein düster dreinblickender Mitarbeiter, der auch mal gerne Kollegen zusammenbrüllt und einen auf Rambo macht, erdreistet es sich, mit nacktem Oberkörper auf der Fläche herumzulaufen. Wenig später erreicht mich dann eine Rundmail unserer „Supervorgesetzten“, ein junges Mädel, augenscheinlich ausgesprochen freundlich. „Darf ich noch einmal darauf hinweisen, dass hier die Hausordnung gilt und grundsätzlich immer Oberbekleidung getragen werden muss“?
Einige Monate später im selben Unternehmen: Ich benötige ein Dokument und spreche bei der HR-Abteilung vor. Einige dicke, augenscheinlich auch wieder sehr sympathische Zypriotinnen händigen es mir aus. Irgendwie kommt das Gespräch auf Weihnachtsgeschenke und, dass ich wohl wieder zurück nach Deutschland ins Elternhaus ziehe.
„Oh, da haben Sie aber eine nette Mutter“, kommt als Antwort. Kontext: Die Frauen haben sowieso das Kommando.
Fazit: Styler und Poser, here we come
Ein bekannter Verführungskünstler schrieb einmal sinngemäß: „Bei der Bundeswehr habe ich soviele Tyrannen kennengelernt, die zuhause nichts zu melden hatten, aber dafür wenigstens im Beruf eine große Nummer sein wollten.“
Passt hier wie Arsch auf Eimer. Oder, in den zeitlosen Worten von Andrew Ryan:
Was ist Unterschied zwischen einem Mann und einem Sklaven? Ein Mann entscheidet, ein Sklave gehorcht.
Dem ist nichts hinzuzufügen.